Christentum und JudentumDas Verhältnis zwischen Christentum und Judentum erscheint im gesamten Mittelalter als ambivalent und störungsanfällig. Da Juden nicht zur christlichen Gemeinschaft gehörten, welche gewissermaßen die Mehrheitsgesellschaft repräsentierte, waren für sie besondere Regelungen erforderlich. Dieser Umstand hatte Vor- und Nachteile.
Papst Gregor der Große (+604) legte fest, Juden seien bürgerliche Grundrechte und freie Religionsausübung einzuräumen. In karolingischer Zeit wurden Juden unter königlichen bzw. kaiserlichen Schutz ge-stellt, und man billigte ihnen ein besonde-res Maß an Selbstverwaltung zu. Anderer-seits sahen sich Juden immer wieder star-ken Anfeindungen ausgesetzt, welche reli-giös und kulturell bedingt waren.
Nach dem ersten Kreuzzugsaufruf des Papstes Urban II. (27. November 1095 in Clermont) verbreiteten Prediger den Aufruf in Frankreich und Deutschland. Allerdings gab es noch keinen Plan, wie ein solcher Kreuzzug eigentlich aussehen sollte. Es rotteten sich einfache und arme, teils auch kriminelle Menschen zusammen und zogen zunächst an den Rhein. Im Mai 1096 kam es zu ersten Übergriffen gegen Juden in Speyer, kurze Zeit später folgten massivere Angriffe in Worms und Mainz. Die Juden sollten zwangsgetauft werden oder sterben. Die jeweiligen Bischöfe versuchten, die Juden ihrer Stadt zu schützen, ließen sich diesen Schutz allerdings entlohnen, und trotz solcher Schutzmaßnahmen kam es zu Übergriffen und vielen Toten. In Köln, Regensburg, Prag und anderen Orten setzten sich die Pogrome fort. Dieses Vorgehen, auch wenn es von der Kirche kritisiert wurde, zeigt, wie sehr die Kreuzzugsbewegung von Anfang an zu religiösem Fanatismus verleitete. Die Büchse der Pandora war geöffnet, und als erstes hatten die Juden darunter zu leiden.
Das Verhältnis von Judentum und Christentum war seit der Entstehung der christlichen Kirche gespannt. Zwar waren die ersten Christen sogenannte Judenchristen und der Völkerapostel Paulus verkündete die christliche Botschaft zuerst in jüdischen Synagogen, aber die Christen wurden aus jüdischer Perspektive als Sektierer betrachtet und mitunter verfolgt. Bereits im 2. Jahrhundert nach Christus dominierten die "Heidenchristen" die kirchlichen Gemeinden. Zunehmend geriet aus dem Blick, dass Jesus, seine Apostel und die ersten Christen Juden gewesen waren. In der christlichen Theologie der Spätantike tauchten judenfeindliche Motive auf, auch wenn sie keine zentrale Rolle spielten.
Der Vorwurf, Juden seien die Mörder Christi gewesen, existierte und hatte teilweise gravierende Auswirkungen. Aber jedem einigermaßen gebildeten Christen des Mittelalters war auch bewusst, dass nach den neutestamentlichen Schriften nicht "die Juden" Jesus töten lassen wollten, sondern nur ein bestimmter Kreis innerhalb der Jerusalemer Priesterschaft. Jeder, der an den Erlösertod Christi glaubte, hatte auch im Bewusstsein, dass der Tod Jesu innerhalb des Glaubens eine Notwendigkeit darstellte und dass dieser Tod mit der Sündhaftigkeit der Menschheit, nicht einiger weniger, zu tun hatte. Trotzdem fand der Vorwurf Eingang in die kirchliche Tradition.
Verbreitet war es, Juden als "verblendet" und "treulos" zu bewerten, da sie die Botschaft Jesu nicht angenommen hatten. An hervorgehobener Stelle, in der katholischen Karfreitagsliturgie, wurde dies in Fürbitten formuliert und damit die Erwartung verknüpft, Juden sollten die Botschaft Christi annehmen und sich taufen lassen.
Um die Jahrhundertwende vom 12. zum 13. Jahrhundert kam das Gerücht auf, Juden würden an christlichen Kindern Ritualmorde begehen. In einem besonders gravierenden Fall befasste sich das kaiserliche Hofgericht Friedrichs II. 1236 mit der Frage und sprach die Juden prinzipiell frei.
Das Verhältnis zwischen Christen und Juden blieb während des gesamten Mittelalters ambivalent. Juden wurden benötigt, beispielsweise für Kreditgeschäfte, da es Christen verboten war, Zinsen zu nehmen. Gleichzeitig entwickelte sich Neid. In karolingischer Zeit wurden Juden häufig als Händler, Ärzte und Finanziers geschätzt und mit Privilegien ausgestattet. Im 11. Jahrhundert, vor Beginn der Kreuzzüge, blühten jüdische Gemeinden vor allem entlang des Rheins. Speyer, Worms und Mainz wurden als "SchUM-Städte" bezeichnet ("Sch" steht für Speyer, "U" [hebr. waw] für Worms, "M" für Mainz). Die jüdischen Gemeinden dieser Städte pflegten einen intensiven Austausch untereinander und bauten Synagogen, rituelle Bäder (Mikwen), Friedhöfe und andere Einrichtungen. Die Juden standen unter dem Schutz der Kirche und/oder des jeweiligen Herrschers. Mit Beginn der Kreuzzüge verbreitete sich Antijudaismus, die Lage der Juden wurde prekär. Dennoch entwickelten sich die jüdischen Gemeinden der Schum-Städte weiter - bis zur Judenverfolgung in der Zeit des Nationalsozialismus. Auch kleinere Städte wie Wiesloch hatten große jüdische Gemeinden und (teilweise bis heute) jüdische Friedhöfe.
1084 hatte Heinrich IV. die Ansiedlung einer jüdischen Gemeinde in Speyer gestattet. Das Viertel wurde mit einer eigenen Mauer umgeben und gilt als das erste urkundlich nachweisbare jüdische Ghetto. 1090 proklamierte Kaiser Heinrich IV. das Wormser Privileg, das den Wormser Juden bestimmte Schutzrechte verbriefte, zum Beispiel den Schutz der Religionsausübung, des Eigentums sowie einer innerjüdischen Rechtsprechung. Die Juden wurden der "Kammerknechtschaft" unterworfen, was sie schützte, aber auch zu erheblichen Steuerzahlungen verpflichtete. Die Staufer übernahmen diese Regelung und dehnten sie auf alle Juden im Heiligen Römischen Reich aus.
Innerhalb der Städte wurden Juden - wie in Speyer oder Worms - bestimmte Viertel zugewiesen. Diese Ghettoisierung brachte Folgeprobleme mit sich. Andererseits war es in mittelalterlichen Städten üblich, Viertel aufzuteilen und bestimmten Bevölkerungsgruppen zuzuweisen. Die Auflagen für die jüdische Bevölkerung waren allerdings besonders. Häufig wurde Juden gezwungen, besondere Kleidung oder Erkennungsmerkmale zu tragen.