Mittelalter und Antike

Mittelalter und Antike  (Bild: Sarkophag in antiker Darstellungstradition mit christlicher Symbolik, Rom)
Mittelalter und Antike

"Heute spricht kaum noch ein Historiker vom 'finsteren Mittelalter'. Sie wissen, dass der Dichter Petrarca in der Frühen Renaissance, genauer in den 1330er-Jahren, diesen Ausdruck prägte, und empfinden den zugrunde liegenden Gegensatz zwischen dem 'Licht' der antiken Welt und der angeblichen 'geistigen Finsternis' der späteren Zeit als ahistorisch. In der britischen Geschichte wird das Konzept der 'Dunklen Jahrhunderte' nur für die zwei oder drei Jahrhunderte verwendet, die mit dem Rückzug der römischen Legionen begannen und für ihre Quellenarmut berüchtigt sind." (Norman Davies, Verschwundene Reiche, Darmstadt 2013, S. 54f.)

Die Annahme, dass die Antike nach dem Untergang des weströmischen Reiches in einen tausendjährigen Schlaf fiel und erst von der Renaissance, nach einigen Wiedererweckungsversuchen der Humanisten, zum wachen Leben zurückkehrte, gehört zu den Grundkonstanten der Geschichtsbetrachtung. Hierfür gibt es einige starke Gründe, doch bei genauer Betrachtung erweist sich diese Einschätzung auch als vorurteilsbelastet. Bereits der Blick auf die Verwurzelung der Renaissance im Humanismus des Mittelalters gibt einen Hinweis darauf, dass die kulturelle Entwicklung vielleicht kontinuierlicher verlief, als man oftmals annimmt.

Umberto Eco hat 2001 provozierend formuliert: "Humanismus und Renaissance sind kulturelle Bewegungen, die gemeinhin als revolutionär verstanden werden, die jedoch ihre Strategie der Erneuerung auf einen der reaktionärsten Handstreiche gründen, den es jemals gegeben hat, wenn man unter reaktionärer Haltung in der Philosophie eine Rückkehr zur zeitlosen Überlieferung versteht. Wir haben es also mit einem Vatermord zu tun, der die Väter durch Rückgriff auf die Großväter abräumt und auf deren Schultern sitzend versucht, die wiedergeborene Vision des Menschen als Mitte des Kosmos zu rekonstruieren." (Umberto Eco, Auf den Schultern von Riesen. Das Schöne, die Lüge und das Geheimnis, München 2019, S. 23)

Das europäische Mittelalter schätzte die antike Tradition sehr hoch und versuchte sie zu bewahren und fortzusetzen. Das Christentum, das sich seit der Spätantike zur bestimmenden Religion entwickelte und von Kaier Theodosius I. im Jahr 391 zur Staatsreligion erhoben wurde, umfasste philosophie- und bildungskritische Gruppen, war aber mehrheitlich und besonders in seinen Leitungseliten bildungsfreundlich. Zum klaren und konsequenten Widerspruch gegenüber der Antike kam es im Bereich religiöser Vorstellungen. Der christliche Glaube war nicht kompatibel mit den antiken Götterkulten. Aber auch viele antike Philosophen übten Kritik am Polytheismus und an der traditionellen Kosmogonie. Zu solchen Kritikern gehörten Platon, Sokrates und Aristoteles. Bezeichnenderweise kam es durch Humanismus und Renaissance nicht zu einer Wiederbelebung antiker Götterkulte, sondern lediglich zur Rezeption mythologischer Motive in künstlerischen Kontexten. Im christlichen Mittelalter blieb die antike Philosophie präsent, und man nutzte die Möglichkeiten, die sich boten, um die Kenntnisse antiker Quellen zu erweitern. Sonst wäre beispielsweise der Aristotelismus nicht bereits im 12./13. umfangreich und systematisch rezipiert worden.

Das Oströmische Reich von der Spätantike bis zu seinem Untergang 1453 (Zeitraum des Mittelalters) wird als Byzantinisches Reich bezeichnet. Geprägt wurde dieser Begriff von dem deutschen Humanisten Hieronymus Wolf (1516-1580), um eine byzantinische Epoche von der Antike abzugrenzen. Byzantion war eine von Griechen gegründete Kolonie (7. Jh. v. Chr.), die sich auf dem Gebiet des späteren Konstantinopel befand. Nach der römischen Eroberung hieß der Ort Byzantium. Konstantin der Große gründete die Stadt im 4. Jahrhundert (n. Chr.) neu als Hauptresidenz der römischen Kaiser und nannte sie Neues Rom (Nova Roma). Nach seinem Tod erhielt sie den Namen Konstantinopel (Constantinopolis). Die Bürger der Stadt und ihres großen Herrschaftsgebiets (das jahrhundertelang bis nach Italien reichte) bezeichneten sich selbst als Römer, definitiv nicht als Byzantiner. Selbst nach der Eroberung der Stadt durch die Türken blieb der Name "Konstantinopel" erhalten. Erst unter Atatürk wurde Konstantinopel in "Istanbul" umbenannt. Von der ein Jahrtausend umspannenden, tief in die Antike zurückreichenden Kontinuität der kulturellen Tradition Konstantinopels und seines Herrschaftsbereichs zeugt unter anderem, dass die Gelehrten, welche 1453 aus der Stadt flüchteten, im Westen die Renaissance und deren Antikenrezeption um viele griechische Quellen bereicherten.

Die Zerstörung vieler antiker Quellen im lateinischen Westen ist zunächst darauf zurückzuführen, dass nach dem Untergang des Weströmischen Reiches die Wirren, Kriege, Plünderungen und Zerstörungen der Völkerwanderungszeit einsetzten. Auch die frühe Phase arabischer Eroberungen in Nordafrika und Südeuropa richteten großen kulturellen Schaden an, wenngleich die Araber anschließend antike Quellen sicherten. Die antiken Schriften wurden hauptsächlich auf empfindlichem Papyrus tradiert. Erst im Mittelalter setzte sich Pergament als vorherrschendes Material durch, das - insbesondere bei Fassung in einem Codex - sehr widerstandsfähig war. In den Klöstern wurden antike Schriften aufbewahrt und vervielfältigt, auch solche, die nicht unmittelbar für religiöse Zwecke dienlich erschienen oder mit christlichen Glaubensvorstellungen übereinstimmten. Mit der karolingischen Renaissance wurden die Klosterschulen mehr oder weniger flächendeckend eingerichtet und zu einem Netzwerk der Wissenssicherung und Wissenvermittlung ausgebaut. 

Neben den Zerstörungen der Völkerwanderungszeit wirkte sich die Verschiebung sprachlicher Kompetenzen negativ auf die Rezeption antiker Quellen aus. Noch in der Spätantike - und in Italien darüber hinaus - war das Griechische als Bildungssprache präsent. Im Frankenreich aber beherrschte kaum jemand die griechische Sprache. Das Lateinische wurde zur Bildungssprache schlechthin. Damit war aber - eher ungewollt und unvermögend als beabsichtigt - der Zugang zu vielen griechischen Quellen versperrt. Dennoch stand das Griechische, auch als Sprache des Neuen Testaments, in hohem Ansehen. (Vgl. dazu: Walter Berschin, Griechisch-lateinisches Mittelalter. Von Hieronymus zu Nikolaus von Kues, Bern-München 1980)

Für die Bildungskonzeption des Mittelalters wurde der spätantike Gelehrte Boethius zu einer maßgeblichen Referenz. Boethius (ca. 480-525) lebte am Hof Theoderichs des Großen. Er versuchte, den Kernbestand antiker Bildung, insbesondere den Platonismus und Aristotelismus, in ein lateinisches Bildungsprogramm zu überführen. Seine Tätigkeit wurde jäh unterbrochen, als man ihn der Beteiligung an einer Theodosius-feindlichen Verschwörung bezichtigte und hinrichtete. Sein in der Gefangenschaft verfasstes Werk De consolatione philosophiae ("Vom Trost der Philosophie") wurde zu einem der meistgelesenen Werke des Mittelalters.

Das Bildungsprogramm des lateinischen Mittelalters prägte sich zunächst in den "sieben freien Künsten" (septem artes liberales) aus. Hierzu gehörten Grammatik, Rhetorik, Dialektik (Trivium) sowie Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie (Quadrivium). Innerhalb der Einzeldisziplinen wurden vielfältige Inhalte untergebracht. So konnte der Grammatikunterricht auch Rechenübungen beinhalten, obwohl die mathematischen Wissenschaften eigentlich im Quadrivium verortet waren.

An den im hohen Mittelalter sich ausbreitenden Universitäten wurden neben den sieben freien Künsten (sog. Artistenfakultät; Magister artium) die drei Fakultäten Jura, Theologie und Medizin eingerichtet und gepflegt. Auch und insbesondere die Universitäten orientierten sich an antiken Quellen. Sicherlich wurde vieles unter christlichem Vorzeichen wahrgenommen und rezipiert, aber der christliche Glaube wirkte sich keineswegs so vernunftverengend aus, wie man es häufig unterstellt. Man ging grundsätzlich davon aus, dass natürliche Vernunft und christlicher Glaube miteinander harmonieren und einander ergänzen. Die Bibel wurde mehrheitlich nicht literalistisch/fundamentalistisch ausgelegt. Bereits in der Antike (z. B. in der alexandrinischen Schule - sowohl im jüdischen wie im christlichen Bereich; Philon von Alexandrien (+ um 40 n. Chr.), Clemens von Alexandrien (+ um 215), Origenes von Alexandrien (+ um 254)) hatte man erkannt, dass die biblischen Texte auf wortwörtlicher Ebene zahlreiche Widersprüche enthalten und ihr Wahrheitsgehalt schon deshalb nicht einfach auf der Ebene des Buchstabens bzw. einer wortwörtlichen Auslegung zu finden ist. Die biblischen Texte mussten exegetisch untersucht und ausgelegt werden. Dies eröffnete einen bemerkenswerten Interpretationsspielraum, aber eben auch die Notwendigkeit der Interpretation.

Alle Fakultäten der Universität bezogen sich zu einem maßgeblichen Teil auf antike Traditionen. Dies gilt auch für die Anwendung des Wissens in Gesetzgebung, Gesetzesauslegung, Gerichtswesen, Politik, Medizin und anderen Bereichen.

Selbstverständlich gab es nicht nur geistige Offenheit, sondern auch Angst vor solcher Offenheit und daraus resultierend geistige Enge. Aber bis ins hohe Mittelalter hinein existierte keine zentrale Autorität, die durch Verbote eine unterdrückende Wirkung auf Wissensdurst und Forscherdrang hätte ausüben können. Auch das "Weltbild" war keineswegs so beengt, wie man häufig annimmt. Die Historikerin Ingrid Baumgärtner beispielsweise weist darauf hin: "Entgegen der älteren Forschung, die für das Mittelalter häufig ein geschlossenes Weltbild annahm, geht man heute von einer Pluralität der Weltbilder aus, in denen je nach Zielsetzung die geographisch-physikalische, astronomisch-kosmologische oder biblische Perspektive die Raum- und Zeitvorstellungen beherrschte." (Enzyklopädie des Mittelalters, Bd. 1 (s. Lit.-Verz.), S. 390) Das erstarkende Papsttum strebte eine Zentralisierung der Kirchenorganisation und eine Lenkungshoheit über theologische, philosophische und juristische Diskurse an.  Dieser Prozess dauerte aber sehr lang. Viele päpstliche Forderungen blieben ohne direkte Wirkung. So ließ Papst Innozenz II. durch das 2. Laterankonzil (1139) die Armbrust als Waffe verbieten, konnte sich damit aber nicht durchsetzen. Auch die scharfe Ketzerdoktrin, die seit Papst Innozenz III. (Pontifikat 1198-1216) entwickelt wurde, führte erst im späten Mittelalter und in der Neuzeit zu den furchtbaren Inquisitionsprozessen, die heute häufig als charakteristisches Merkmal des gesamten Mittelalters betrachtet werden.

Überhaupt ist vieles, das man dem Mittelalter insgesamt zuschreibt, eine Erscheinungsform des Spätmittelalters. Es gab beispielsweise zu allen Zeiten Antisemitismus und judenfeindliche Übergriffe, aber erst im Spätmittelalter wurden Juden systematisch aus vielen europäischen Territorien vertrieben. Ihren vorläufigen Höhepunkt erfuhren die Judenvertreibungen nach der Reconquista in Spanien. 1492, im Jahr der sogenannten Entdeckung Amerikas, wurden ca. 100.000 Juden aus Spanien vertrieben. Der Nationalismus, der sich hier anbahnte, entsprach allerdings nicht der mittelalterlichen Geisteswelt.

In Italien, Kernland antiker Kultur und Ursprungsland der Renaissance, wird das Mittelalter heute anders gesehen und bewertet als in Nordeuropa. Die relative Kontinuität zwischen Antike, Mittelalter und Renaissance ist hier in vielen Bereichen leichter zu erkennen. Die mittelalterlichen Stadtrepubliken Norditaliens gehörten zu den fortschrittlichsten Regionen der damaligen Welt. Auch Süditalien, das die Normannen von den Arabern zurückerobert hatten, blühte bis zum Ende der Stauferzeit und zeigte eine fortschrittliche Verwaltung und ein fortschrittliches Rechtssystem. Die Stadt Rom allerdings befand sich für Jahrhunderte in einem erbärmlichen Zustand. Erst das erstarkende Papsttum - das in vielen Teilen Europas geistige Freiheiten einschränkte - führte zu neuem Reichtum und zu neuer kultureller Blüte in Rom. Die Renaissance ist nicht in Rom entstanden, fand aber in Rom unter der Herrschaft der Päpste die prachtvollste Entfaltung. Dennoch ist gerade auch für die Stadt Rom zu beobachten, dass die Orientierung an der Antike niemals erlosch, sondern in vielfältiger Weise präsent blieb. Dies gilt nicht nur für die Architektur der Antike, die sich in Rom selbst nach vielen Zerstörungen noch aufdrängte, sondern auch hinsichtlich des kulturellen und historischen Bewusstseins. Vergil und Ovid beispielsweise blieben während des gesamten Mittelalters maßstäblich, insbesondere in Rom (vgl. Ferdinand Gregorovius, Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter II,1, 279-281). Mit den republikanischen Bestrebungen gingen Neuorientierungen an der antiken Tradition einher (vgl. ebd., S. 286f.).

In der Kathedrale von Otranto, Apulien, findet sich das größte erhaltene Bodenmosaik des Mittelalters. Es umfasst mehrere Hundert Quadratmeter und mehrere Hundert Motive und Geschichten. Die antike Götterwelt ist in der christlichen Kirche nicht vertreten, aber antike Themen wie das Leben Alexanders des Großen. Die Figuration wirkt nicht so ausgefeilt wie in berühmten antiken Villen, aber dafür ist die Fläche hundertfach größer. Wir kennen sogar den Namen des Künstlers, ein Mönch namens Pantaleon. Die Normannen, die das Bodenmosaik in Auftrag gaben, ließen an vielen Orten Süditaliens und Siziliens künstlerische Werke entstehen, die an oströmische und antike Vorbilder erinnern. In Monreale etwa scheint die mittelalterliche Mosaikkunst ihre antiken Vorbilder übertroffen zu haben, in den Figuren der Kapitelle spiegelt sich eine großartige kulturelle Vielfalt. Die von Frankreich ausgehende Gotik wählte als kirchliche Kunst selbstverständlich andere thematische Schwerpunkte als die Antike, integrierte aber auch antike Motive und übertraf in Architektur, Glaskunst und Skulptur viele antike Vorgänger. Die Bildhauerei galt im Mittelalter allerdings als Handwerk und wurde nicht zu den höheren Künsten gezählt. Im Unterschied dazu betrachtete man die Musik als Krone der Künste. In diesem Bereich brachte das Mittelalter besondere Innovationen hervor, beispielsweise durch die Erfindung der Polyphonie sowie der Notenschrift.

Die Emanzipation der Architektur und Kunst im Zeitalter der Renaissance bedeutete einen wichtigen kulturellen Fortschritt. Diese Emanzipation bewirkte aber nicht nur einer Befreiung aus einer verengten spätmittelalterlichen Geisteshaltung, sondern auch eine Emanzipation von Funktionen und weltanschaulichen Bezügen, die die Architektur und Kunst im Zeitalter der Antike prägten. Dass sie sich nicht noch stärker von Traditionen befreite, zeigt ein Verlangen nach Legitimation und Referentialität. Dieses Verlangen haben Renaissance und Mittelalter gemeinsam und beide beziehen sich dabei - in unterschiedlicher Weise - auf die Antike, ohne sie einfach zu kopieren.

Die Erforschung mittelalterlicher Geschichtsbetrachtungen und des Geschichtsverständnisses der Renaissance zeigen auf psychologischer Ebene, dass Menschen offensichtlich eine starke Sehnsucht nach einer geschichtlichen Heimat in sich tragen, dass sie sich an einer geschichtlichen Idealzeit orientieren möchten. Die Antike bot sich hierfür an, allerdings nicht in einer realistischen historischen Form, denn wo genau sollte eine solche ideale Zeit verortet werden? Häufig nennt man das Athen zur Zeit des Perikles (+429 v. Chr.) oder das Römische Reich zur Zeit des Augustus (+14 n. Chr.). Perikles repräsentiert die Stärke der attischen Demokratie, Augustus den Frieden eines gefestigten Römischen Reiches. Aber die Idealgestalt des Perikles scheint in vieler Hinsicht eine Konstruktion des Geschichtsschreibers Thukydides zu sein, das glanzvolle augusteische Zeitalter hatte auch viele Schattenseiten, beispielsweise im Sklaventum oder in der Unterdrückung unterworfener Gegner und Völker. Auch die Bibel bietet keine ideale geschichtliche Zeitspanne an. Zwar kann die Zeit der Urgemeinde als Vorbild für die Kirche dienen, aber auch diese Zeit war erfüllt von Auseinandersetzungen, wie die Apostelgeschichte und die Briefe des Apostels Paulus zeigen. Die Herrschaftszeit König Davids gilt in der Bibel in vieler Hinsicht als vorbildliche Zeit, aber auch David zeigte Schwächen. Eine andere Referenzzeit stellt der Exodus dar, der Auszug Israels aus Ägypten und der Neubeginn eines gemeinschaftlichen Lebens auf dem Durchzug durch die Wüste. Aber das Volk fiel vom Glauben ab, betete das goldene Kalb an, und selbst Mose zweifelte an Gott. Er durfte das gelobte Land nur aus der Ferne sehen. Letztlich gibt es in der Bibel und in ihrer mittelalterlichen Rezeption nur eine ideale Zeit: das Paradies - der Zustand, wie Gott die Welt ursprünglich geschaffen hat. Dieser Zustand aber scheint auch aus mittelalterlicher Perspektive unwiederbringlich verloren. Vor allem Augustinus machte die lateinische Christenheit auf diesen Verlust, mit dem sich das Mittelalter ständig beschäftigte, konsequent aufmerksam. Das Gottesreich, das Jesus ankündigte, konnte diesen Verlust innerhalb der Geschichte nicht ausgleichen, auch wenn man Geschichte "heilsgeschichtlich" interpretierte. Das Reich Gottes, so predigte Jesus, hat zwar seinen Ort im Herzen des gläubigen Menschen, aber es ist 'nicht von dieser Welt' (vgl. Joh 18,36). Im mittelalterlichen Verständnis ist der Mensch homo viator, ein Zeit seines Lebens Pilgernder auf der Suche nach der ewigen Heimat.

Zwei antike Dichter stehen für die gemeinsame Liebe des Mittelalters und der Renaissance zur Antike: Vergil und Ovid. Ovids Metamorphosen wurden wegen ihrer Sprachschönheit im Mittelalter gepriesen und in die entstehenden Nationalsprachen übertragen. Für die Renaissance boten sie ein unerschöpfliches Reservoir künstlerischer Motive. Vergils Aeneis hatte sowohl für das Mittelalter als auch für die Renaissance einen maßgeblichen, referentiellen Rang. Vergil formulierte auch die Lebensweisheit: Amant alterna Camenae ("Die Musen lieben den Wechsel"; Eklogen III, 59). Damit dürfte er sinngemäß ein Motto des Renaissance-Zeitalters vorformuliert haben.









 




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