Friedrich II. und Europa

Kopf, der nach der Tradition
Barlettas Kaiser Friedrich II. zeigt
Friedrich II., das 13. Jahrhundert und Europa

Friedrich II. (Roger) gehört zu den faszinierendsten, aber auch zu den umstrittensten Gestalten und Gestaltern der europäischen Geschichte. Wäre er in früherem Lebensalter gestorben, die Nachwelt würde wohlwollender auf ihn schauen. Aber Friedrich musste sich nicht nur sein Erbe erkämpfen, was ihm in den Jahren bis 1222 gelang und wofür er viel Anerkennung fand. Er musste sein Erbe auch verteidigen - letztlich vergeblich, denn seine Widersacher unter der Führung der Päpste Gregor IX. (Pontifikat 1227-1241) und Innozenz IV. (Pontifikat 1243-1254) hatten sich die Vernichtung seiner Herrschaft und seiner Familie zum Ziel gesetzt. Ab dem Jahr 1227 lag ein schwerer Schatten auf dem bis dahin erfolgreichen Kaiser. Als vom Papst Gebannter brach er ins Heilige Land auf, gewann die Pilgerstätten, allen voran Jerusalem, durch geschickte Verhandlungen für die Christenheit zurück. In der Zwischenzeit aber hatte der Papst Friedrichs Stammland in Süditalien besetzen lassen. Zwar gelang Friedrich eine rasche Rückeroberung, und er versöhnte sich zeitweilig mit Gregor IX., aber der Friede war nicht von Dauer. Sein Sohn Heinrich, römisch-deutscher König und Friedrichs Sachwalter in Deutschland, erhob sich gegen seinen Vater und fügte seiner eigenen Familie schweren inneren Schaden zu. Der Vater reagierte hart, zu hart, das Unglück nahm seinen Lauf.

Der Untergang der Staufer- und Normannenherrschaft ist vielfach beschrieben worden und wird auch in Zukunft Menschen bewegen. Abgesehen von dramatischen menschlichen Schicksalen wurde dadurch die europäische Geschichte spürbar beeinflusst. Die Folgen der kirchlichen Politik des 13. Jahrhunderts sind hingegen immer noch in einem eher halbbewussten als bewussten Zustand. Man hat sich daran gewöhnt, das mittelalterliche Papsttum summarisch als machtversessen abzutun und es einer längst vergangenen Periode der Kirchengeschichte zuzuordnen. Dabei übersieht man nicht nur charismatische Einzelpersönlichkeiten und die teilweise existenziellen Nöte vieler Päpste, man unterschätzt auch die Langzeitfolgen, die sich daraus ergeben, dass sich das Papsttum in umfangreichem Maße weltliche Macht angeeignet hat, ja diese in einer universalistischen Art für sich beansprucht hat. Im Traditionsverständnis der katholischen Kirche dominiert die Kontinuität. Die Entscheidungen der Päpste und Konzilien des Mittelalters, sofern sie nicht von vornherein als niederschwellig oder zeitlich begrenzt definiert waren, haben kein Verfallsdatum. Nur selten wurden solche Entscheidungen revidiert. Sollten sie unangemessen sein, geraten sie im günstigen Fall in Vergessenheit. Ketzer- und Kreuzzugsdoktrin beispielsweise aber wurden nie gründlich aufgearbeitet und revidiert. Auch die Bannsprüche über Friedrich II. und andere rechtmäßige Herrscher wurden nicht zurückgenommen. Vertreter der Kirche verbreiteten Lügen über das Sterben des Kaisers. Demnach soll er den Tod eines Ketzers gestorben sein, was auch immer dies bedeutet. Bis heute ist Friedrich II., von Papst Honorius III. gesalbter Kaiser des Heiligen Römischen Reiches,  exkommuniziert - ebenso sein treuester Begleiter, der Erzbischof von Palermo, der verdienstvolle Berard de Castanea. Macht man sich dies bewusst, überkommt einen Trauer nicht nur für den Kaiser und seinen treuesten Wegbegleiter, sondern auch für den Papst, der sich in dieser Angelegenheit im Hass selbst verloren hat. Bis heute wurde der schwere Makel nicht behoben.

Im 13. Jahrhundert hatte die Kirche die Chance, sich auf die eigenen Ursprünge hin zu erneuern. Leuchtendes Beispiel dafür ist der Heilige Franziskus (1181/82-1226). Es gab beeindruckende theologische Aufbrüche, man denke an Albertus Magnus, Bonaventura, Thomas von Aquin, Meister Eckhart. Klöster und Kathedralen sind bis heute Zeugen und Erfahrungsräume eines tiefen Glaubens und einer intensiven Spiritualität. Viele Päpste des 13. Jahrhunderts aber arbeiteten am Ausbau der weltlichen Macht und entwickelten die Ketzer- und Kreuzzugsdoktrin zu einem despotischen Machtinstrument, wie es das Beispiel des furchtbaren Albigenserkreuzzugs (1209-1229) zeigt. Päpstliche Schreiben und Konzilien - die dem Dienst heiliger Ziele vorbehalten sind - wurden dafür instrumentalisiert. Die Franziskaner, Hoffnungsträger einer geistigen Erneuerung, verloren sehr früh ihre Unbefangenheit und ließen sich als besonders radikale Kreuzzugsprediger vereinnahmen, auch als Prediger im Kreuzzug, der gegen Friedrich II. ausgerufen wurde. Hohn sprach dies über den Heiligen Franziskus, dessen Pazifismus bis heute kaum zu überbieten ist.

Man hat Friedrich II. als einen Vorläufer der Renaissance bezeichnet. In einem anderen Sinne könnte man auch Innozenz IV. als einen Vorboten der Renaissance betrachten, denn er hat den Weg bereitet, welcher die Amtsführung einiger Renaissance-Päpste möglich gemacht hat. In jedem Fall werden im 13. Jahrhundert Weichen gestellt, die die Geschichte der Kirche und die Geschichte Europas entscheidend beeinflussten. Die französischen Könige konnten im 13. Jahrhundert eine Erbmonarchie durchsetzen, was die Entwicklung Frankreichs zum phasenweise mächtigsten Staat in Europa begünstigte. In Deutschland hingegen wurde die Wahlmonarchie trotz gravierender Erfahrungen im Thronstreit zwischen Staufern und Welfen zementiert, was dem Regionalismus Vorschub leistete, aber letztlich auch den heutigen Föderalismus förderte. Der Kirchenstaat erfuhr unter Innozenz III. eine politische Festigung, welche nachfolgend ausgebaut wurde, während in den norditalienischen Städten eine starke Bürgerkultur entstand. Die Eroberung Konstantinopels durch die Kreufahrer hatte gravierende Folgen für das Verhältnis zwischen lateinischer und griechischer Kirche sowie für die Zukunft des verbliebenen Oströmischen Reiches. Die Araber wurden im 13. Jahrhundert aus vielen Besitzungen auf der iberischen Halbinsel und in Süditalien verdrängt, was die Nord-Süd-Teilung des Mittelmeeraumes verstärkte.

In diesem so wirkungsvollen 13. Jahrhundert war Friedrich II. nicht die dominierende, aber doch eine herausragende Herrscherpersönlichkeit. In seinem Leben spiegelten sich viele Entwicklungen, welche für seine Zeit und für die Zukunft große Bedeutung erlangten.

Wie kein anderes Bauwerk steht das achteckige (oktogonale) Castel del Monte für das Wirken und für die Vision des Kaisers Friedrich II., der alle anderen Herrscher aus staufischem Hause an Baubegeisterung übertraf. Bis heute rätselt man über die genaue Bestimmung des Schlosses, dessen Bau nach 1240 begonnen wurde und bei Friedrichs Tod 1250 noch nicht vollendet war. Es könnte ein Jagdschloss oder Lustschloss gewesen sein, ein Ort für Dichter und Gelehrte, vielleicht auch ein reiner Symbolort, der in Form einer Krone die Herrschaft Friedrichs versinnbildlichen sollte. Manche benennen den oktogonalen Felsendom in Jerusalem als Vorbild. Der Felsendom wurde für arabische Herrscher von byzantinischen Architekten errichtet, auch viele byzantinische Bauten zeigen einen oktogonalen Grundriss. Bisher kaum bedacht ist die Möglichkeit, dass sich Friedrich II. hier eine Art Mausoleum erbauen ließ. Die Zahl acht, die das gesamte Bauwerk prägt, steht in der christlichen Zahlenymbolik für die Auferstehung. Die Begräbniskirche Karls des Großen in Aachen, die er selbst als Pfalzkapelle erbauen ließ, ist als Oktogon (Achteck) gestaltet. Friedrich I. Barbarossa und seine Frau Beatrix stifteten dort einen acht- bzw. sechszehneckigen Leuchter, der zugleich das ewige Jerusalem symbolisiert. Der in Castel del Monte auffällig häufig verwendete Stein Breccia Rossa erinnert in gewisser Weise an Porphyr, dem alten ägyptischen Stein, welcher für erhabene Sarkophage verwendet wurde (so auch von Normannen und Staufern in Sizilien). Breccia Rossa ist grober und brüchiger als Porphyr, erinnert aber dennoch an den kostbaren Stein. Friedrich II. wollte in Palermo bestattet werden, in unmittelbarer Nähe seiner ersten Frau, seiner Eltern und seines Großvaters. Aber er musste vielleicht damit rechnen, dass ihm ein kirchliches Begräbnis verwehrt werden könnte, nachdem er 1239 zum zweiten und endgültigen Mal vom Papst gebannt worden war. Erzbischof Berard von Castanea hielt treu zu ihm und ertrug selbst die Exkommunikation, aber er war alt, und man konnte die weitere Entwicklung nicht vorhersehen. Jedenfalls begegnet man noch heute in Castel del Monte dem Vermächtnis des großen und faszinierenden Kaisers und Königs von Sizilien.

Benedikt Mancini








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