Spiritualität

Spiritualität

Bedeutung

Das Wort "Spiritualität" leitet sich ab von lat. spiritus, Geist. Dies deutet an, dass sich Spiritualität im Geist vollzieht. Dies wiederum weist darauf hin, dass der menschliche Intellekt Träger der Spiritualität ist. Selbstverständlich gehört der Intellekt zur spirituellen Praxis, jedoch erschöpft sich Spiritualität nicht im Intellekt. In einem tieferen christlichen Sinn meint Spiritualität die Verbindung zu Gott im Heiligen Geist. So verstanden betrifft Spiritualität nicht nur den Intellekt, sondern den ganzen Menschen, die ganze menschliche Existenz.

Klöster sind Zentren spirituellen Lebens und wirken auf diese Weise in die Kirche und in die Christenheit hinein. Dies gilt auch für das Mittelalter, wenngleich die Klöster des Mittelalters viele Aufgaben erfüllen, welche nicht alle spiritueller Natur sind. Sie sind auch kulturelle und wirtschaftliche Zentren, üben teilweise Herrschaftsrechte der Grundherrschaft aus.

Im Mittelalter entwickeln sich unterschiedliche Wege monastischer Spiritualität, von denen einige nachfolgend skizziert werden.

Grundlagen

Die mittelalterliche klösterliche Spiritualität kennt verschiedene Stadien, zeigt sich in einer großen Vielfalt und erweist sich als wirkungsvoll für die Entwicklung des Christentums. In der Spätantike und im frühen Mittelalter bilden viele Klöster Oasen der Kultur in einer zerrütteten Welt. Die Lebensbeschreibungen (Heiligenviten) heiligmäßiger Mönche und Nonnen des christlichen Ostens sowie ihre Sinnsprüche ("Apophthegmata Patrum") finden starken Anklang im lateinischen Westen. Die Lebensweise dieser Mönche und Nonnen wird als vorbildlich betrachtet, als Erfüllung des Evangeliums angesehen. Gemeinsam ist diesen Persönlichkeit eine große Demut, verbunden mit tiefer Gottessehnsucht. Sie entwickeln keine großen theologischen Konzepte, obwohl viele von ihnen gebildet sind, sondern legen den Fokus auf die Lebenspraxis.

Die Mönchsregeln des Heiligen Pachomius, des Heiligen Basilius, des Heiligen Augustinus und des Heiligen Benedikt von Nursia (u. a.) stellen programmatische und zugleich lebenspraktische Schriften dar, in denen sich die Spiritualität des Zeitalters und des Mönchtums verdichtet. Als wichtigste spirituelle Schriftquelle ist selbstverständlich die Bibel zu nennen, insbesondere der Psalter (150 Psalmen). Die Bibel wird im mehrfachen Schriftsinn ausgelegt (mehrere Ebenen/Dimensionen: 1.) wortwörtlich/historisch, 2.) allegorisch, 3.) moralisch, 4.) anagogisch/mystisch). Aus der philosophischen Tradition finden sich Spuren des Platonismus bzw. Neuplatonismus. 

Theologie und Spiritualität treten in ein sich wechselseitig befruchtendes Verhältnis. Im frühen Mittelalter ist es vor allem die Inkarnationstheologie, die Betrachtung der Menschwerdung Gottes, welche die Spiritualität beeinflusst. Im späten Mittelalter tritt die Kreuzestheologie in den Mittelpunkt. Durchgängig zeigt sich die Schöpfungstheologie als wichtige Quelle der Spiritualität. Die Schöpfungstheologie ermutigt den Menschen, seiner Gottesabbildhaftigkeit nachzuspüren, sie führt aber auch die Sündhaftigkeit der menschlichen Existenz vor Augen. In Jesus ist der Mensch von der Sünde befreit. Maria erscheint als Idealgestalt der neuen Schöpfung und der neuen Kirche. Ihre Verehrung spielt eine bedeutende Rolle, löst sich aber nicht von der Jesusverehrung ab (wie dies später, beispielsweise in der Barockzeit, mitunter geschieht). Die Schöpfung wird trotz ihrer Belastung durch die Sünde als abbildlich verstanden, sie verweist  auf ihren Schöpfer. Die Betrachtung der Schöpfung führt zur Gottesbeziehung und zur Entdeckung der eigenen Abbildhaftigkeit. Der Mensch lebt in einem Mikrokosmos des großen Schöpfungskosmos und stellt in sich einen Mikrokosmos dar. In diesem Empfinden der Verbundheit mit einem größeren Ganzen spielt die Individualität des Einzelnen zunächst keine wichtige Rolle. Ziel monastischer Spiritualtität ist die Überwindung des individuellen Egos. Im späten Mittelalter entwickeln sich allerdings Formen einer individuellen Spiritualität und Mystik (sog. Devotio Moderna).

Benediktinische Spiritualität

Die Spiritualität des benediktinischen Mönchtums nährt sich wesentlich aus der Mönchsregel des Heiligen Benedikt von Nursia (ca. 480-547). Benedikt greift dabei auf andere monastische Quellen, vor allem auf die Magisterregel zurück. Ein Kerngedanke dieser Regel kommt bereits im ersten Satz des Prologs zum Ausdruck: "Obsculta, o fili, praecepta magistri, et inclina aurem cordis tui, et admonitionem pii patris libenter excipe et efficaciter comple." - "Höre, mein Sohn, auf die Weisung des Meisters, neige das Ohr deines Herzens, nimm den Zuspruch des gütigen Vaters willig an und erfülle ihn durch die Tat!"   (www.benediktiner.de/index.php/regula-prolog.html)

Demut gehört zum Kern der benediktinischen Spiritualität. Der Gehorsam, den der Mönch lernt und übt, bedeutet nicht Unterwürfigkeit, sondern Teilhabe an der Demut Jesu Christi, dem menschgewordenen Gottessohn. Umgekehrt sind die Befugnisse der Abtes und anderer Leitungspersonen nicht Ausdruck eines Machtbewusstseins, sondern haben dienende Funktion, denn der Abt ist in erster Linie Seelsorger, der die ihm anvertrauten Seelen in der rechten Weise lenken soll. Vielleicht hat Benedikt der Demut auch deshalb eine solch bedeutende Rolle zugewiesen, weil die Hochmut (superbia) als typische Mönchskrankheit gilt. Benedikt möchte dieser Versuchung etwas Wirksames entgegensetzen. Demut ist auch erforderlich, um sich selbst für Größeres zu öffnen, wie es im Verb obscultare/auscultare - hören, lauschen - (dem ersten Wort der Benediktsregel) zum Ausdruck kommt. 

Ein weiterer wichtiger Grundzug der benediktinischen Spiritualität ist ihre Praxisorientierung. Die richtige Tat erscheint als Frucht der richtigen inneren Haltung und ergänzt das Gebet, welches einen großen Teil des klösterlichen Tages ausfüllt. Insofern fasst die Formel "ora et labora" ("bete und arbeite") die monastische Lebensweise im Sinne Benedikts treffend zusammen.

Wichtig ist für den Heiligen die Gemeinschaftsorientierung. Zwar hat Benedikt selbst längere Zeit als Einsiedler gelebt und erweist dem Einsiedlertum Respekt, aber er hält nur wenige Menschen für geeignet, dieser Lebensweise zu folgen. Benedikt zeigt viel Verständnis für die menschliche Schwäche und ist überzeugt, dass die Schwäche in der Gemeinschaft am besten korrigiert und aufgefangen werden kann.

Die Mönchsregel benennt die "stabilitas loci", die Treue zum jeweiligen Ort bzw. Kloster (Ortsbeständigkeit), als wichtiges Prinzip. Benedikt betont: "Et quia in omni loco uni Domino servitur, uni regi militatur." - "Wir dienen doch überall dem einen Herrn und kämpfen für den einen König."    (RB 61,10;  www.benediktiner.de/index.php/die-aufnahme-ordnung-2/aufnahme-fremder-moenche-rb.html)

Die an der Mönchsregel des Heiligen Benedikt orientierte Spiritualität wirkte sich auch auf das kirchliche Leben außerhalb der klösterlichen Welt aus.

Zisterziensische Spiritualität

In karolingischer Zeit, forciert durch den Reformabt Benedikt von Aniane (+821) wird die Benediktsregel zur bestimmenden Mönchsregel. Diese Dominanz bringt beeindruckende Wirkungen hervor, erweist sich aber auch als Problem, denn die Klöster werden nicht nur mit religiösen und kulturellen, sondern auch mit politischen Erwartungen konfrontiert. Die starke Einbindung in das Reichskirchensystem führt außerdem zu einer Klerikalisierung. Das benediktinische Mönchtum leidet mit dem Verschwinden der Karolinger und erlebt durch die Reformbewegung von Cluny neue Kraft, aber auch Widerspruch. Kritisiert werden die Reichtümer der Clunianzenser, die liturgische Überfrachtung des klösterlichen Lebens und anderes mehr. So kommt es zur Gründung neuer Orden. Besonderen Einfluss gewinnen die Zisterzienser, deren Gründer Robert von Molesme (+1111) als Reformer des bendiktinischen Mönchtums zu betrachten ist. Robert verpflichtete seine Mönche zur Einfachheit und zur strengen Befolgung der Benediktsregel.

Als berühmtester und einflussreichster Vertreter des zisterziensischen Mönchtums gilt Bernhard von Clairvaux (+1153). Bernhards mystische Schriften gehören zu den bedeutsamsten Schriften dieser Art. Auf der anderen Seite irritieren sein politisches Agieren im Kontext der Kreuzzüge und seine Rechtfertigung von Gewalt.

Bernhards Mystik möchte, ausgehend von einem schlichten, einfachen Herzen, das sich öffnet, über den Weg der Liebe zu einer mystischen Ekstase und Gottesbegegnung oder sogar zur Vereinigung der Seele mit Gott führen. Dieser Ansatz erscheint zumindest in seiner Akzentuierung als neuartig und beeinflusst die christliche Spiritualität nachhaltig.

Die mittelalterlichen Klosteranlagen der Zisterzienser strömen heute noch eine starke Anziehungskraft und Geistigkeit aus. Typischerweise in schlichtem gotischen Stil gehalten, sind Zisterzienserkirchen bis heute spirituelle Erfahrungsräume.

Franziskanische Spiritualität

Im 12. Jahrhundert kommt es zu spürbaren kirchlichen, politischen und gesellschaftlichen Veränderungen. Die Bevölkerung wächst, Städte florieren, Kirche und Adel werden reicher. Der Heilige Franz von Assisi (+1226), als reicher Kaufmannssohn aufgewachsen, entscheidet sich für ein Leben in Armut und Einsamkeit vor den Toren der Stadt Assisi. Die imitatio Christi, die Nachfolge Christi in Form einer Nachahmung der jesuanischen Lebensweise, wird zum zentralen Anliegen und gipfelt für Franziskus im Empfang der Wundmale Christi (Stigmatisation).

In kurzer Zeit schließen sich viele Menschen dieser Lebensweise an, es kommt zur Bildung des Franziskanerordens und des Klarissinenordens (durch Klara von Assisi, die Schwester des Heiligen Franziskus). Neben der erwähnten besonderen Weise der Christusnachfolge zeichnen sich die Franziskaner durch eine besondere Schöpfungsverbundenheit aus. Das berühmte Beispiel der Tierpredigt oder der Sonnengesang des Franziskus zeigen, wie stark Franziskus von der Vorstellung beseelt ist, Gottes Gegenwart in allen Lebewesen und Dingen zu erkennen.

Dominikanische Spiritualität

Als Zeitgenosse des Franziskus gründet der Heilige Dominikus (+1221) den Dominikaner- bzw. Predigerorden. Wie die Franziskaner fühlen sich die Dominikaner der Besitzlosigkeit verpflichtet. Sie errichten ihre Klöster ebenfalls bevorzugt in Städten und üben seelsorgerische Aufgaben aus. Ihr besonderes Merkmal ist die Pflege des Intellekts, das konsequente Studium, das Hand in Hand geht mit Gebet und Frömmigkeit. Aus dieser Verbindung resultiert eine intensive Predigttätigkeit.

Berühmte Dominikaner, die auch die Verbindung von Intellektualität und Frömmigkeit verkörpern, sind Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Meister Eckhart, Heinrich Seuse, Johannes Tauler.

Mystische Spiritualität

Die Mystik als Versuch, Gott nahe zu kommen oder gar eine Vereinigung mit Gott zu erreichen, durchzieht das gesamte Mittelalter, unaufdringlich und auf vielfältige Weise. Sie repräsentiert über die dogmatische und moralische Lehre der Kirche hinaus eine besondere, gleichsam ideale Möglichkeit der Gottesbeziehung. Insofern werden Mystiker im Mittelalter zugleich kritisch betrachtet und hoch verehrt.

Wegweisend für die Mystik im Mittelalter sind zunächst die Schriften des Pseudo-Dionysius Areopagita, der im 6. Jahrhundert theologische und mystische Schriften verfasst unter dem Pseudonym des Athener Paulus-Schülers Dionysius Areopagita. Pseudo-Dionysius geht von einer unendlich erscheinenden Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpf aus. Von Gott kann nur auf verneinende (apophatische) Weise gesprochen werden. Die Erkenntnis dieser Differenz wird zugleich zu einem Weg, sich Gott dennoch anzunähern, da die Schöpfung mit ihrem Schöpfer in einer gestuften Urbild-Abbild-Beziehung verbunden ist. Hier zeigen sich starke Einflüsse der neuplatonischen Philosophie, die sich mit biblischen Ansätzen verbinden. Die Psalmworte "Bei dir ist die Quelle des Lebens, in deinem Licht schauen wir das Licht." (Ps 36,10) bringen dieses Verständnis treffend zum Ausdruck. Auf Pseudo-Dionysius beziehen sich spätere Mystiker wie Meister Eckhart.

Eine andere Form der Mystik zeigt sich in den Schriften des Heiligen Bernhard von Clairvaux, der die Liebe zum Königsweg der Gottesbegegnung erklärt und entfaltet.

Ab dem 13. Jahrhundert treten besondere Formen der Passionsmystik auf, die sich auch in der kirchlichen Kunst nachvollziehen lassen. Die Versenkung in die Leiden Christi und in seinen Kreuzestod, bis hin zu einem physischen Mit-Leiden (wie bei Heinrich Seuse), wird zum zentralen Thema und Weg der Mystik.

Eine weitere Bewegung zeigt sich in der visionären Mystik, welche versucht, die Kontemplation - die meditative Versenkung - so weit zu entwickeln, dass sie zu einer Erkenntnis des Wesens der Dinge und des Kosmos führt. Vertreterinnen sind beispielsweise die Heilige Hildegard von Bingen oder die Heilige Birgitta von Schweden.

Devotio moderna

Mit der Devotio moderna gehen Frömmigkeit und Mystik neue Wege. Die individuelle Gottesbeziehung wird betont, nicht mehr der Nachvollzug - möglicherweise sogar institutionsgebunden - eines vorgezeichneten Weges.




Share by: